Ren­ten­kas­se: Debat­te um Ren­ten­ein­tritts­al­ter entbrannt

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Nach­dem ein Gut­ach­ten wie­der die Finan­zie­rungs­lü­cke der Ren­ten­ver­si­che­rung offen­bart, ist eine neue Debat­te um ein höhe­res Ein­tritts­al­ter entbrannt.

Öko­no­min Moni­ka Schnit­zer, Mit­glied im Sach­ver­stän­di­gen­rat zur Begut­ach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung, unter­stützt eine ent­spre­chen­de For­de­rung. „Die gesetz­li­che Ren­te steu­ert auf ein erns­tes Finan­zie­rungs­pro­blem zu”, sag­te Schnit­zer den Zei­tun­gen der Fun­ke-Medi­en­grup­pe (Mitt­woch­aus­ga­ben).

Schnit­zer griff einen Vor­schlag des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats des Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums auf, das gesetz­li­che Ren­ten­ein­tritts­al­ter an die stei­gen­de Lebens­er­war­tung zu kop­peln. Die­sen Vor­schlag habe der Sach­ver­stän­di­gen­rat, die soge­nann­ten „Wirt­schafts­wei­sen”, schon vor einem Jahr unter­brei­tet. Auch sei der Sach­ver­stän­di­gen­rat eben­falls dafür, den aus­ge­setz­ten Nach­holfak­tor wie­der ein­zu­set­zen. Als „inter­es­sant” bezeich­ne­te die Wirt­schafts­wei­se den Vor­schlag, das Ren­ten­ein­tritts­al­ter mit einem soge­nann­ten Ren­ten­ein­tritts­fens­ter zu fle­xi­bi­li­sie­ren. „Es ist hilf­reich, in der Ren­ten­de­bat­te auch ganz neue Alter­na­ti­ven in den Blick zu neh­men”, sag­te Schnitzer.

Die Öko­no­min appel­lier­te, ange­sichts der Coro­na­kri­se die Dis­kus­si­on um eine Ren­ten­re­form „bes­ser heu­te als mor­gen” zu füh­ren. „Ein Fest­hal­ten an der dop­pel­ten Hal­te­li­nie – höchs­tens 20 Pro­zent Bei­trags­satz, min­des­tens 48 Pro­zent Ren­ten­ni­veau – wird nur durch immer höhe­re Bun­des­zu­schüs­se zu finan­zie­ren sein. Das wird den Bun­des­haus­halt schon bald über­for­dern”, warn­te die Wirtschaftsweise.

Moni­ka Schnit­zer ist Pro­fes­so­rin für Kom­pa­ra­ti­ve Wirt­schafts­for­schung an der Lud­wig-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen. Sie gehört seit April 2020 dem Sach­ver­stän­di­gen­rat an, der die Bun­des­re­gie­rung in wirt­schaft­li­chen Fra­gen berät.

Auch der frü­he­re Chef der Wirt­schafts­wei­sen, Lars Feld, unter­stützt For­de­run­gen nach einer Ren­te mit 68: „Die finan­zi­el­le Schief­la­ge der gesetz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung ist lan­ge bekannt und in den ver­gan­ge­nen bei­den Legis­la­tur­pe­ri­oden durch die Müt­ter­ren­ten, die Ren­te mit 63 für lang­jäh­rig Ver­si­cher­te und die Grund­ren­te immer wei­ter ver­schlech­tert wor­den. Ab 2025 wird es zuneh­mend pro­ble­ma­tisch. Ein unver­zicht­ba­rer Bestand­teil einer Lösung des Pro­blems liegt in der Anhe­bung des gesetz­li­chen Ren­ten­ein­tritts­al­ters nach 2031 auf über 67 Jah­re”, sag­te Feld der „Rhei­ni­schen Post” (Mitt­woch­aus­ga­be). „Dies geschieht am bes­ten regel­ge­bun­den durch Ver­knüp­fung mit der fer­ne­ren Lebens­er­war­tung, wie es ande­re Län­der bereits vormachen”.

Mit Blick auf die Kri­tik von Olaf Scholz an den Exper­ten-Vor­her­sa­gen beton­te Feld: „Die­se Sach­la­ge wur­de wie­der­holt von den Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rä­ten beim BMWi und beim BMF sowie vom Sach­ver­stän­di­gen­rat für Wirt­schaft her­aus­ge­stellt. Den wich­tigs­ten unab­hän­gi­gen wirt­schafts­po­li­ti­schen Bera­tungs­gre­mi­en in Deutsch­land Sach­kennt­nis und Exper­ti­se abspre­chen zu wol­len, ist hane­bü­chen, wis­sen­schafts­feind­lich und nur durch Kli­en­tel­po­li­tik zu ver­ste­hen. Die gefäl­li­ge Mei­nung, dass die gesetz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung kein Pro­blem hat, bie­ten allen­falls noch die Gewerkschaftsinstitute”.

Der Sozi­al­ver­band VdK hat die Exper­ten­vor­schlä­ge zur Ren­ten­fi­nan­zie­rung kri­ti­siert. Ver­bands­prä­si­den­tin Vere­na Ben­te­le sag­te den Zei­tun­gen der Fun­ke-Medi­en­grup­pe: „Der Bei­rat setzt eine Ent­wick­lung der Ren­ten, der Finan­zen und Demo­gra­phie für die nächs­ten 40 Jah­re vor­aus, die seri­ös so nie­mand pro­gnos­ti­zie­ren kann”. Ben­te­le sag­te, das Gre­mi­um „betreibt damit Angst­ma­che­rei”. Den Vor­schlag, den Ren­ten­ein­tritt an die Lebens­er­war­tung zu kop­peln und die Ren­te erst mit 68 begin­nen zu las­sen, bezeich­ne­te Ben­te­le als „Unsinn”. „Die Lebens­er­war­tung unter­schei­det sich zwi­schen ver­schie­de­nen Grup­pen extrem: Zwi­schen Ein­kom­mens­star­ken- und Ein­kom­mens­schwa­chen, zwi­schen kör­per­lich hart Arbei­ten­den und Büro­an­ge­stell­ten. Sie alle über einen Kamm zu sche­ren, ist sozi­al unge­recht und wird die Sche­re zwi­schen Arm und Reich wei­ter öffnen”.

Ben­te­le fuhr fort, es sei auch „unso­li­da­risch”, dass Men­schen, die gerin­ge Löh­ne hät­ten und kör­per­lich hart arbei­te­ten, wei­ter belas­tet wer­den sol­len, wäh­rend Beam­te, Poli­ti­ker und Selb­stän­di­ge wei­ter­hin nicht in die gesetz­li­che Ren­ten­ver­si­che­rung ein­zahl­ten. „Ein Gut­ach­ten dazu, wie eine Alters­ver­si­che­rung ein­ge­führt wer­den kann, in die alle Erwerbs­tä­ti­gen ein­zah­len, wäre statt­des­sen drin­gend not­wen­dig”, sag­te die VdK-Präsidentin.

Für die Indus­trie­ge­werk­schaft Bau­en-Agrar-Umwelt (IG BAU) sag­te der Bun­des­vor­sit­zen­de Robert Fei­ger den Zei­tun­gen der Fun­ke-Medi­en­grup­pe: „Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter Peter Alt­mai­er muss ein­fach akzep­tie­ren, dass kein Bau­ar­bei­ter, kein Dach­de­cker und kei­ne Gebäu­de­rei­ni­ge­rin bis 68 durch­hält”. Schon 65 sei bei sol­chen Kno­chen­jobs zu lang. Ein höhe­res Ren­ten­ein­tritts­al­ter wür­de für Bau­ar­bei­ter eine Ren­ten­kür­zung bedeu­ten. „Denn sie wären gezwun­gen, dabei noch höhe­re Ren­ten­ab­schlä­ge in Kauf zu neh­men”, sag­te Feiger.

Es wür­de enor­me Unter­schie­de zwi­schen dem Job im Bau­amt und auf der Bau­stel­le geben. „Wer auf dem Bau schuf­tet, ist schon viel frü­her kör­per­lich am Ende, fer­tig und kaputt”, sag­te Fei­ger und lud Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um Peter Alt­mai­er (CDU) sowie den Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat des Minis­te­ri­ums zu einem Prak­ti­kum auf einer Bau­stel­le ein: „Für einen Tag, eine Woche, einen Monat oder gern auch den gan­zen Som­mer lang …”.

Die Bun­des­ver­ei­ni­gung der Arbeit­ge­ber for­dert hin­ge­gen eine Rück­kehr zur alten Ren­ten­for­mel. „Fakt ist: Wir brau­chen drin­gend die Rück­kehr zur alten Ren­ten­for­mel mit Nach­hol- und Nach­hal­tig­keits­fak­tor”, teil­te die BDA den Zei­tun­gen der Fun­ke-Medi­en­grup­pe (Mitt­woch­aus­ga­ben) mit. „Rich­tig ist auch: Nur auf ein­zel­ne Zwei­ge der Sozi­al­ver­si­che­rungs­sys­te­me zu schau­en reicht nicht aus”, heißt es wei­ter. Schon im ver­gan­ge­nen Jahr hät­te die Sozi­al­ver­si­che­rungs­kom­mis­si­on der Arbeit­ge­ber vor der Gefahr explo­die­ren­der Bei­trä­ge gewarnt.

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