Der Migrationsforscher Gerald Knaus hat davor gewarnt, dass sich die Lage der Syrer in der Türkei in den nächsten Monaten „weiter dramatisch verschärfen” könne.
Rund 1,5 Millionen Syrer dort hätten noch keine Unterstützung der Europäischen Union, zum Beispiel in Form von Sozialhilfe oder medizinischer Versorgung, erhalten, sagte Knaus der RTL/n‑tv-Redaktion. Ihnen drohe wegen der Coronakrise nun ein kompletter Verlust des Einkommens. „Viele davon haben informell gearbeitet. Wenn diese Arbeit jetzt aufhört, weil die Fabriken wegen Corona stillstehen, dann haben wir eine sehr große Zahl an Menschen, die kein Einkommen mehr haben”, so Knaus. „Wenn die EU-Hilfen jetzt auslaufen und damit gleichzeitig die Unterstützung fürs Gesundheitswesen in der Türkei und die medizinische Versorgung für Syrer, dann wird das System dort unter enormen Druck geraten, was auch zu großen Flüchtlingsströmen führen kann.”
Weiter kritisierte der Migrationsforscher „fehlendes Engagement der EU” in Bezug auf die Flüchtlingspolitik. „Wir haben in der Ägäis nach fünf Jahren wachsender Krise, eine Situation, in der wir gar keine Politik mehr haben. Wir haben keine Einigung mit der Türkei, wir haben keine Lösung für das gravierende Problem von Zehntausenden, die nicht human untergebracht sind. Wir haben ein großes Schweigen was Konzepte betrifft”, so Knaus.
Der Mitgründer des Thinktanks „European Stability Initiative” fügte hinzu, dass trotz derzeit niedriger Flüchtlingszahlen, die EU mit der Situation überfordert sei. „Viele Leute haben immer noch das Gefühl, dass es an der EU-Außengrenze einen Druck gibt. Im letzten Jahr sind ganze 12.000 Menschen nach Italien gekommen: Das ist ein schlecht besuchtes Zweitligaspiel”, so Knaus. Hoffnung hat Knaus bezüglich der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands: „Meine Hoffnung ist, dass es der deutschen Politik gelingt, gerade mit der EU-Ratspräsidentschaft, Vorschläge zu machen. Ich glaube, dass die Probleme an Europas Grenzen lösbar sind.”