Die SPD zieht mit dem Versprechen in den Bundestagswahlkampf, die Hartz-IV-Grundsicherung durch ein neues Bürgergeld zu ersetzen.
„Das Bürgergeld muss absichern, dass eine kaputte Waschmaschine oder eine neue Winterjacke nicht zur untragbaren Last wird”, heißt es im Entwurf der Parteispitze für das Wahlprogramm der Sozialdemokraten, über den die Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagsausgaben) berichten. Nach dem Willen der SPD soll der Staat bei der Grundsicherung künftig Hartz-IV-Empfängern nicht mehr grundsätzlich misstrauisch gegenüberstehen und systematisch nach Regelverstößen fahnden, sondern als „haltgebender und bürgernaher Sozialstaat” auf Augenhöhe mit Betroffenen agieren, die keine Bittsteller seien.
Das geplante Bürgergeld beinhalte Mitwirkungspflichten, setze aber konsequent auf Hilfe und Ermutigung. „Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen schaffen wir ab”, heißt es in dem 47-seitigen Entwurf. Das Bürgergeld solle digital und unkompliziert beantragt werden können. Mit der Abkehr von Hartz IV hofft die SPD, verloren gegangene Glaubwürdigkeit als Arbeiterpartei zurückzugewinnen. Die vor mehr als 15 Jahren vom damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeführten Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen steigerten nach Ansicht von Ökonomen Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit enorm. Intern zerriss Hartz die Partei, in der Folge wandten sich viele Wähler ab.
Bei einer Regierungsbeteiligung wollen die Sozialdemokraten flankierend zum Bürgergeld mit umfassenden staatlichen Angeboten für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen sowie Kinder rechtlich und finanziell aufwerten. Dazu will die SPD eine Kindergrundsicherung einführen und die steuerlichen Kinderfreibeträge abschaffen. Neben kostenloser Infrastruktur für Kinder wie kostenlose Kitas, Ganztagsschulen und freie Fahrt im Nahverkehr soll es ein neues „existenzsicherndes Kindergeld” geben, welches alle bisherigen Familienleistungen zusammenfasst und nach Einkommen der Eltern gestaffelt ist.
Der monatliche Basisbetrag solle bei 250 Euro je Kind liegen, der Höchstbetrag bei 528 Euro (je nach Kindesalter und Einkommen). „Das neue Kindergeld ersetzt so den Kinderfreibetrag und bündelt bisherige Leistungen”. Eltern sollen direkt nach Geburt eines Kindes Anspruch auf zwei Wochen „Partnerschaftszeit” haben, die vom Staat sozial abgesichert wird. Außerdem solle das Elterngeld um ein „Elterngeld akut” erweitert werden. Dazu solle der in der Corona-Pandemie ausgeweitete Anspruch auf Kinderkrankentage dauerhaft für 20 Tage pro Jahr pro Elternteil gelten – „bei mehr als zwei Kindern maximal 90 Tage pro Elternpaar oder Alleinerziehende”.
Wer Angehörige pflegt, soll Anspruch auf 15 Monate Lohnersatzleistungen erhalten. Den gesetzlichen Mindestlohn will die SPD auf „mindestens 12 Euro” anheben. Außerdem sollten die Spielräume der Mindestlohnkommission, die regelmäßig über Erhöhungen der Lohnuntergrenze befindet, für künftige Erhöhungen ausgeweitet werden. Midi-Jobber – mit kleinen Einkommen zwischen 450 und 1.300 Euro im Monat – sollen bessergestellt werden: „Um die Nettoeinkommen von gering Verdienenden zu erhöhen, heben wir die Gleitzone der Midi-Jobs auf 1.600 Euro an”, heißt es im Programmentwurf. In dieser Zone würden Arbeitnehmer geringere Beiträge zahlen, ohne dass sie dadurch einen geringeren Rentenanspruch haben.
Der Programmentwurf wurde federführend von der SPD-Doppelspitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gemeinsam mit Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz verfasst. Er wird nach einem monatelangen Beteiligungsprozess mit der Parteibasis am Montag erstmals im Parteivorstand beraten.
Die SPD ist damit die erste Partei, die sieben Monate vor der Wahl ein „Regierungsprogramm” vorlegt. Es soll auf einem digitalen Parteitag im Mai endgültig beschlossen werden. Bis dahin sind noch Änderungen zu erwarten.