Die USA wollen offenbar künftig bei der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik mitarbeiten.
Demnach möchte Washington im Rahmen der EU-Verteidigungsinitative „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit” formal bei einem milliardenschweren Projekt mitmachen, das zur Verbesserung von Truppen-und Materialtransporten in Europa („Military Mobility”) dient, berichtet die „Welt am Sonntag” unter Berufung auf hohe informierte EU-Diplomaten, denen zufolge ein entsprechender schriftlicher Antrag des Pentagon am vergangenen Donnerstag im Verteidigungsministerium der Niederlande eingegangen ist.
Den Haag koordiniert das Projekt, an dem insgesamt 24 EU-Staaten mitarbeiten. Auch Kanada und Norwegen beantragten in den vergangenen Tagen laut Bericht der „Welt am Sonntag”, sich an dem EU-Projekt für schnellere Truppen- und Materialtransporte durch Europa beteiligen zu können. „Das ist eine historische Entwicklung, mit einer weit reichenden politischen Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Amerikaner sich auch finanziell am Ausbau von Infrastruktur in Europa beteiligen dürften”, zitiert die Zeitung aus EU-Kreisen. Die EU-Regierungen wollen bald in einem mehrstufigen Aufnahmeprozess über die Anträge entscheiden.
Erst am Freitag hatten die EU-Staats- und Regierungschefs die „enge Kooperation” zwischen EU und NATO bekräftigt. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich nach Angaben eines Sprechers beim EU-Videogipfel „für eine Stärkung der transatlantischen Allianz bei gleichzeitiger Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten ausgesprochen, die einander ergänzen”. Seit November 2020 können sich auch Drittstaaten an Pesco beteiligen. Bis zum vergangenen Donnerstag hatte aber kein Drittland offiziell eine Mitarbeit beantragt.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete die Drittstaaten-Beteiligung im November als „Durchbruch”, der auch einen „Impuls” für die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO bedeute. Die Verbesserung der militärischen Mobilität in Europa ist eines von derzeit insgesamt 46 Pesco-Projekten. Die ersten laufen bereits seit März 2018. Ziel von Pesco ist, die Handlungsfähigkeit der EU in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik deutlich zu verbessern und sogenannte Fähigkeitslücken zu schließen. Fast jedes Mitgliedsland koordiniert ein bestimmtes Pesco-Projekt, an dem sich jeweils eine unterschiedliche Zahl an Staaten beteiligen können.
Deutschland koordiniert sogar sechs Projekte. Dazu gehören der Aufbau eines Europäischen Sanitätskommandos, eine Initiative zur Verbesserung der Krisenreaktionsfähigkeit der EU-Länder und die Installierung eines europaweiten Netzwerks von sogenannten Logistik-Drehscheiben, um Truppen und Material schnell verlegen zu können.
Das von den Niederlanden koordinierte Projekt zur Verbesserung der militärischen Mobilität gehört nach Ansicht von EU und NATO zu den wichtigsten Maßnahmen überhaupt in der europäischen Verteidigungspolitik. Sollte es in den kommenden Jahren tatsächlich gelingen, den Transport von Truppen und Material innerhalb Europas durch milliardenschwere Investitionen in Brücken, Straßen und Schienenverkehr und durch den Abbau von zwischenstaatlicher Bürokratie bei der Erteilung von Durchfahrgenehmigungen zu reduzieren, so würde dies die Einsatzbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit des Westens deutlich verbessern.
Es geht dabei vor allem darum, im Fall eines gewaltsamen Konfliktes – beispielsweise der Invasion Lettlands durch russische Streitkräfte – westliche Truppen möglichst schnell an den Einsatzort zu bringen. Das gelingt aber nur, wenn Brücken, Schienen und Straßen den Transport von schweren Waffen, wie Panzern, auch aushalten und die Transporte in Richtung Osten nicht durch aufwändige Grenzkontrollen in den einzelnen europäischen Ländern unnötig aufgehalten werden.
Von schnelleren Truppen- und Materialtransporten würden letztlich auch die US-Truppen profitieren, die im Kriegsfall im Rahmen ihrer NATO-Bündnisverpflichtungen beispielsweise deutsche oder italienische Häfen ansteuern würden, um anschließend schnellstmöglich durch Europa in Richtung Osten zu gelangen, berichtet die „Welt am Sonntag”.