Die Bundesregierung stellt sich darauf ein, dass Großbritannien die Europäische Union (EU) ohne Vertrag verlässt.
Es gebe eine „hohe Wahrscheinlichkeit” für einen ungeordneten Brexit am 31. Oktober, heißt es in einem internen Papier des Bundesfinanzministeriums, über welches das „Handelsblatt” (Freitagsausgabe) berichtet. Da der neue britische Premierminister Boris Johnson auf einem Ausstiegsvertrag ohne den sogenannten „Backstop” bestehe, müssten die EU-Mitgliedsstaaten das Szenario eines No-Deal-Brexits ernst nehmen.
Es sei aktuell „nicht absehbar, dass Premierminister Johnson seine harte Verhandlungsposition” ändern werde, heißt es in dem Papier des Finanzministeriums. Das Papier aus der Europaabteilung dient zur Unterrichtung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) über die Brexit-Entwicklungen unter Johnson.
Das Finanzministerium erwartet, dass Johnson den G7-Gipfel in Biarritz Ende August für einen „big moment” nutzen wird, um den Durchbruch oder das Scheitern der Verhandlungen zu verkünden. „Vor diesem Hintergrund ist es aus EU-Perspektive wichtig, an der bisherigen Linie festzuhalten”, heißt es in dem Papier weiter.Die EU-27 lehnen es ab, den Ausstiegsvertrag nachzuverhandeln. Selbst wenn man den „Backstop” aus dem Ausstiegsvertrag entferne, wie Johnson es wünsche, sei sich die britische Regierung der Zustimmung des Parlaments nicht sicher, schreiben die Experten des Bundesfinanzministeriums. Die Vorbereitungen für den ungeordneten Brexit auf deutscher und EU-Seite seien „weitgehend abgeschlossen”, heißt es in dem Papier.
Die EU-Kommission plane keine neuen Notfallmaßnahmen und die bisherigen Vorbereitungen bedürften keiner Änderung. Bei einzelnen Übergangsregelungen, wie etwa für die Clearing-Häuser im Finanzsektor, müsse man wegen der Verschiebung des Brexits höchstens die Fristen anpassen, heißt es in dem Papier weiter. Die Bundesregierung habe mehr als fünfzig Gesetze und Maßnahmen für den Fall eines ungeordneten Brexits beschlossen. Das Ministerium liste in dem Dokument die Übergangsregelungen im Bereich Steuern und Finanzen auf.
So gebe es eine Vereinbarung zwischen der deutschen Finanzaufsicht Bafin und der britischen FCA über grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen. In der Zollverwaltung sei mit einem „punktuell erhöhten Abfertigungs- und Kontrollaufwand” zu rechnen, heißt es in dem Papier des Finanzministeriums, über welches das „Handelsblatt” berichtet. Dieser solle durch „flexiblen Personaleinsatz” und „IT-gestützte Optimierung” aufgefangen werden. Es würden aber auch 900 neue Stellen in der Behörde geschaffen.