Die EU-Kommission drängt die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu größeren Anstrengungen im Kampf gegen Kinderarmut.
Trotz eines Rückgangs in den letzten Jahren seien 2019 22 Prozent der Kinder in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht gewesen – insgesamt fast 18 Millionen Kinder, sagte Vizepräsidentin Dubravka Suica den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstagausgaben). „Dies ist ein wirklich großes Problem. Noch heute gibt es in der EU Kinder, die unter Hunger leiden”. Das sei beschämend, das könne man nicht tolerieren, so Suica.
Besonders betroffen seien Kinder von Alleinerziehenden, in Familien mit drei und mehr Kindern, in abgelegenen Regionen und in Familien mit Migrations- oder Roma-Hintergrund. Rund die Hälfte der Kinder mit niedrigem Bildungsniveau der Eltern sei von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, verglichen mit weniger als zehn Prozent der Kinder mit hohem Bildungsniveau der Eltern, sagte die Vizepräsidentin: „Dies führt zu einer tiefen Ungleichheit der Chancen”.
Ziel der EU-Kommission sei es, die Zahl der betroffenen Kinder bis 2030 um mindestens fünf Millionen zu reduzieren, sagte Suica. Insbesondere Mitgliedstaaten, in denen der Anteil armer oder ausgegrenzter Kinder über dem EU-Durchschnitt liege, müssten mehr in die Bekämpfung der Kinderarmut investieren. Die Kommission empfehle den Mitgliedstaaten unter anderem, den betroffenen Kindern Zugang zu frühkindlicher Bildung und Betreuung oder auch zu angemessener Ausstattung für den Fernunterricht zu gewährleisten. Es solle beispielsweise auch sichergestellt sein, dass Kinder mindestens eine gesunde Mahlzeit pro Schultag erhielten.
Sie rief dazu auf, Kinder und Jugendliche in Europa stärker an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen zu beteiligen. „Kinder und Jugendliche haben das Recht, aktive Mitglieder demokratischer Gesellschaften zu sein, und können dazu beitragen, politische Prioritäten zu gestalten und umzusetzen”, sagte Kommissions-Vizepräsidentin Dubravka Suica den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Zu viele Kinder fühlten sich aber bei der Entscheidungsfindung nicht ausreichend berücksichtigt. „Wir müssen die Beteiligung auf allen Ebenen fördern und stärken – lokal, national und auf EU-Ebene”, sagte Suica.
Für die europäische Ebene nannte die Vizepräsidentin konkrete Schritte. So sollten Kinder und Jugendliche in die „Konferenz zur Zukunft Europas” einbezogen werden, die ab Mai mit großen Bürger-Debatten in allen Mitgliedstaaten startet. Eine neue Internet-Plattform auf EU-Ebene solle Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder auf den verschiedenen Ebenen vernetzen und die Teilhabe an politischen Prozessen in der EU fördern. Um dies zu erleichtern, sollen die Europäische Charta der Grundrechte und andere Schlüsseldokumente der Europäischen Union in einer kinderfreundlichen Version herausgegeben werden, kündigte Suica weiter an. „Wir wollen auch die aktive Teilnahme am Klimapakt und am Green Deal fördern”, sagte die Vizepräsidentin. Kinder sollten als Botschafter des Klimapakts teilnehmen. „Durch die Einbeziehung von Schulen in eine nachhaltige Klima- und Umwelterziehung können wir eine Klimakoalition bilden”.
Die Teilnahme am demokratischen Leben müsse in der Kindheit beginnen, sagte die Europapolitikerin. Kinder seien sich ihrer Rechte bewusst – aber nur jedes vierte Kind habe das Gefühl, dass diese Rechte von der gesamten Gesellschaft angemessen berücksichtigt würden. „Wir wollen ihre Stimme stärken.” Die Kommission werde sicherstellen, dass in ihrer Arbeit die Perspektive der Kinderrechte in alle relevanten Politikfelder einbezogen werde, sie werde auch das EU-Personal entsprechend schulen und Kapazitäten aufbauen.
Suica forderte aber zugleich die Mitgliedstaaten auf, ihrerseits die Teilnahme von Kindern am gesellschaftlichen und demokratischen Leben zu ermöglichen. Die Vizepräsidentin sagte, sie könne sich auch die Absenkung des Wahlalters – für die lokale oder nationale Ebene – auf 16 Jahre vorstellen. „Die Jugendlichen sind in diesem Alter reif genug. Dies ist jedoch Sache der Mitgliedstaaten”.